Weitere Erkenntnisse
über mich, meine Traumata und die Liebe
Marokko. Ihre Warmherzigkeit und Familienzugehörigkeit hat eine tiefe Sehnsucht bei mir befriedigt. Ich durfte eine Zeit Teil davon sein. Auf Dauer kann ich es nicht. Dazu müsste ich mich unterordnen und den Dominanzanspruch des Mannes bzw. Familienoberhauptes akzeptieren. Das ist unmöglich. Ich habe nie gelernt, jemandem der Macht auf mich ausüben möchte, zu vertrauen. Es sei denn, ich bin wirklich hilflos und ausgeliefert. Das ist wohl der Knackpunkt. Fühle ich mich hilflos, kann ich es annehmen, bin sogar dafür sehr dankbar. Der andere weiss dann besser, was für mich gut ist.
In Bereichen, in denen ich gelernt habe, mir selbst zu vertrauen, wie mit Kontakten aufbauen, Verwaltung meines Geldes, Kümmern um mir anvertraute Wesen (Kinder, Haustiere) ist der Akt der Entscheidung für mich und Bestimmung über mich Entmündigung. Sind das alte Àngste? Oder ist es meine Pflicht gegenüber meiner Eigenverantwortung, so zu fühlen und ablehnend zu reagieren? Selbst, wenn der ‹Aufpasser› mich wirklich beschützen könnte oder es besser wüsste?
Vertrauen in A. hatte ich nicht. Ich hatte nie Vertrauen, dass jemand, der Macht über mich ausübt, es gut mit mir meint, meine Wünsche respektiert oder mich nicht klein macht. Selbst wenn A. es versucht hat – über mich und meine Art zu bestimmen und mir gleichzeitig Anerkennung und Alternativen zu geben. Aber brauche ich das überhaupt? Bin ich nicht alleine gross? Kann und muss ich nicht immer selbst entscheiden, was für mich und die mir «Anvertrauten» gut ist?
Ich muss allerdings im Rückblick zwei Dinge feststellen: 1. A. hat bei mir erst dieses uralte Trauma wieder hervorgerufen. Jetzt kann ich es bearbeiten. Und 2. Geborgenheit vermittelt eine gewisse Bevormundung schon. Jemand kümmert sich um mich. Jemand ist ein Spiegel. Wenn auch manchmal verzerrt.
Ich musste mich dennoch gegen das Zusammenleben und die Zweisamkeit entscheiden. Ich habe das Kümmern und die Verantwortung, die A. für mich übernommen hat, nun wieder zurückgegeben. Und schwups ist meine Sehnsucht danach wieder da🙄. Nach Warmherzigkeit, Familie und Geborgenheit. Nun kenne ich aber wieder den Preis. Abhängigkeit und nicht so einfach wieder gehen können, wann ich will. Den Beweis, dass A. mich nicht liebt, habe ich nie vollständig bekommen. Nur in den Situationen, in denen wir gestritten haben und ich mich bedroht gefühlt habe. Das hat mir dann schlussendlich genügt, mich wieder lösen zu können. Aber… habe ich diese Entscheidungshilfe nicht unbewusst selbst inszeniert? Ein Revival meiner Kindheit? Beweise, dass ich nicht geliebt werde und dann gehen wollen?
Hätte ich genügend Selbstliebe in mir, müsste ich nicht gehen. Ich würde mich sehr wahrscheinlich nicht einmal in eine solche Situation wie mit A. begeben. Dem Schicksal oder Gott zu vertrauen, das Leben fliessen lassen und! nicht meinen Traumata die Macht verleihen, ist der richtige Weg. Aber so weit bin ich noch nicht. Noch scheint es wesentlich für mich zu sein, meine Traumata Stück für Stück sichtbar zu machen und sie damit erst reflektieren zu können. Dann kann ich selbst entscheiden, ob ich ihren Schutz noch benötige oder nicht. Nur, um sie überhaupt wahrzunehmen, benötige ich wohl den ein- oder anderen Umweg.
LIEBE
Liebe ist Geben
Liebe ist Verbindung
Liebe ist Annehmen
Intrinsische Motivation der Liebe ist Sexualität, Leidenschaft, Monogamie, Nestbau, Sicherheit, Verteidigung und Schutz.
Extrinsische Motivation der Liebe ist Hilfsbereitschaft, Wertschätzung (auch des eigenen Körpers), Dankbarkeit, Wahrnehmung, alle Verbindungen zulassen, Nähe, Bewunderung. Mitleid. Emphatie und Verständnis. Sich opfern, wenn es allen dient. Und seine ureigenen Talente anbieten.
Banal formuliert: intrinsisch vereint körperliche, genetische ‹Programme› mit Erfahrungen (Sozialisation, Trauma, Zukunftsdenken). Wir müssen das Leben (unseres und das uns nahestehender Wesen) in jeder Beziehung erhalten. Den Kit dazu nennen wir Liebe. Egoistisch.
Extrinsisch motivierte Liebe hat keinen direkten Nutzen für uns und kommt daher von innen, obwohl von aussen motiviert. Kommt sie von der viel zitierten Quelle? Wir lassen dann das Leben fliessen. Altruistisch.
Wir leben in einem immerwährenden Spannungsfeld dazwischen. Wir wollen lieben, sind aber oft zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Mit dem ‹Geben sollen› des/der anderen. Oftmals scheint es, dass wir uns entscheiden müssen. Als würde die intrinsisch motivierte Liebe die extrinsische ausschließen. Aber alles hat seine Zeit. Wie in dem Roman von Thomas Mann (1924) – Der Zauberberg.
Kinder sind zu Beginn selbstlos. Sie lieben. Punkt. Dann werden sie grösser und egoistisch. Sie benötigen nun mehr als nur die Versorgung mit Liebe und Fürsorge. Erste Defizite und Traumata sind entstanden. Erste Kämpfe, um diese wieder auszugleichen sind die Folge. Dann wird bei Jugendlichen die Fortpflanzung zum Programm. Und der Fokus auf die intrinsische Liebe – auch als Ersatz für die anfänglich empfundene Liebe. Der Prinz auf dem weissen Pferd oder die unerreichbare Prinzessin sind wohl entsprechende Projektionen. Bis man schliesslich im fortgeschrittenen Alter – meist nachdem die Kinder gross sind – in eine Phase des Erwachens eintritt. Bis man im Alter vielleicht wieder altruistisch wird.
Kann man diese Beobachtung auch auf die Entwicklung der Menschheit übertragen? Viele sprechen davon, dass wir mitten drin stecken: im Zeitalter des ‹Erwachens›.