Schlusspunkt für Jetzt
Als ich mich Mitte Juni entschieden hatte zu gehen, hat mir ein guter Bekannter ein Zimmer in seinem Haus in der Nähe von Essaouira angeboten. Da er Schweizer ist, wusste ich auch, dass ich meinen Freund A. nicht allzusehr provozieren würde. Europäische Männer verdächtigte er nicht gleich, etwas von mir zu wollen. Also würde mein Gastgeber auch nicht die übliche Panickattacke bei A. auslösen.
Seitdem geht es mir gut. Ich bin fröhlich. Lache mit allen. Geniesse wieder die Herzlichkeit der Marokkaner und Marokkanerinnen. Niemand kontrolliert mich. Und mit meinem Freund versuche ich eine neue Basis zu finden. Wir müssen uns gehen lassen, um uns vielleicht später einmal wieder mit Vertrauen begegnen zu können. Aber, wir reden auch. Es wird wieder besser.
Meine WhatsApp
Nachdem mir A. am 2. Tag unserer Trennung vorgeworfen hatte, dass meine Gründe trivial gewesen wären, und ich damit das Wunderbare unserer Beziehung zerstört hätte, war folgendes meine Antwort (ein langer Text, aber wenn er ihn ganz lesen würde, würde er vielleicht auch ein wenig verstehen. Ich schrieb ihn aber auch – wie immer für mich selbst!):
«Die Gründe für unsere Trennung sind für mich alles andere als trivial. Ich liebe dich und unsere Liebe war magisch. Du hast mir durch deine Art, nicht an alltäglichen Dingen zu hängen, vorgelebt, wie sehr der Moment zählt. Ich habe dich nicht nur geliebt, sondern auch bewundert. Aber…
Solange wir essen und trinken müssen und uns um Kinder und Tiere kümmern müssen, die nicht alleine klarkommen, müssen wir auch an unsere Versorgung denken. Und damit an die Zukunft. Das habe ich in dieser Zeit begriffen. Es braucht einen Kompromiss. Da du mehr im Moment lebst, habe ich das Kümmern um die Zukunft übernommen. Für unsere immer grösser werdende Familie. Für dich. Für die Geschöpfe, die von uns abhängig sind. Für ihr Essen und Trinken. Die Gesundheit. Für unsere Existenz, dass wir Geld verdienen können. Etwas, was mir leicht fällt. Diese Rolle kannte ich zur genüge. Aber ich wollte diese Rolle eigentlich nicht mehr. Ich wollte selbst auch viel öfter im Moment leben. Und mich auf der Zukunft ausruhen, die ich mir durch mein Geld und meine Ersparnisse geschaffen hatte.
Du weisst, wie es gekommen ist. Ich habe die Rolle des Kümmerns auch für dich übernommen. Und damit mein Polster geopfert. Meine Sicherheit für meine Zukunft. Es ist also nicht nur, dass ich gegen deine Bevormundung rebelliere (und deine Eifersucht), sondern auch gegen das Schwinden meiner Sicherheit.
Dazu gehört nicht nur mein Geld, sondern auch die Materie, die ich gehortet habe (wie mein Werkzeug😅). Ich musste dich verlassen, weil ich mir meine Sicherheit wieder herstellen muss. Etwas, was du vielleicht nicht nachvollziehen kannst. Du bist niemals materiell. Du bist frei.
Ich habe mich von meiner Materie zwar irgendwie auch verabschiedet, damit ich wieder lachen kann. Aber in Zukunft werde ich nicht mehr zuschauen müssen, wie meine Grundsicherheit, die ich jetzt noch habe, durch unser Zusammenleben weiter schwindet.
Ich bin in erster Linie verantwortlich für mich selbst. Für meine Seele und meinen Körper. Dafür, dass meine persönlichen Grenzen respektiert werden (ich frei sein kann, mit wem und wann ich reden kann), und ich mir selbst mein Bedürfnis nach einem Minimum an Sicherheit gewährleisten kann. Nicht du musst für meine Sicherheit sorgen. Nicht irgendein Vater. Nicht irgendein Ehemann. Ich bin erwachsen.
Du warst meine Liebe. In all den glücklichen Momenten. Aber im Alltag warst du mein Risiko, mich selbst zu verlieren. Deshalb muss ich alleine leben. Ich kann nicht den ganzen Tag meine Grenzen verteidigen. Ich möchte wieder den Moment leben können. Vielleicht auch wieder mit dir. Aber dafür musst du mich als Ehefrau, Tochter und Mutter loslassen. Und mich nur noch als Mensch sehen mit unserer kostbaren seelichen Verbindung.
Also, lass mich gehen. Übernimm Selbstverantwortung für dein Leben und deine Existenz. Du bist es wert, dass du dich gut um dich selbst kümmerst. Nimm das Bistro und das b&b als dein Geschenk für dich selbst an. Mach was draus. Mach deine Motivation nicht von mir abhängig. Und nicht davon, geliebt zu werden. Ich liebe dich für dein Wesen, deine Tiefe. Aber den Alltag musst du alleine schaffen.
Ich gebe meine Verantwortung, die ich für dein alltägliches Wohl und deine Zukunft übernommen habe, wieder an dich zurück. Wo sie in erster Linie hingehört. Für Momente bin ich immer für dich da, wenn du mich brauchst. Aber nicht mehr für alle anderen Bedürfnisse.
Dich zu verlassen, war keine Momententscheidung. Ich habe einen langen Prozess durchlaufen, und meine Liebe zu dir hat mich immer wieder zurückgeworfen. Ich wollte die schönen Momente nicht verlieren. Aber die Waagschale war irgendwann nicht mehr ausgeglichen. Die letzte Szene hat sie endgültig zum Kippen gebracht. Und ich war bereit, dich zu verlieren. Den Preis, den ich zahlen muss. Ich musste mich entscheiden zwischen meiner Liebe zu mir und meiner Liebe zu dir.
Es tut mir unglaublich leid, dass wir im Alltag keine Chance hatten. In meinem Herzen hast du immer deinen Platz.»
Meine neue Situation – es geht endlich weiter
August 2024
Anfang Juli ging ich zurück. Mit neuen Vorsätzen. Mit neuer Kraft. Ich übernahm das Bistro. Nach meinen Vorstellungen. Es war nicht leicht, auch wenn A. es gerne abgab. Aber er gab nicht gerne die Kontrolle ab. Zu viel konnte dort, an diesem abgeschiedenen Ort passieren. Mittlerweile waren dort Drogen im Umlauf. Es gab Schlägereien. Trance-Musik. Ob ich dort sicher war?
A. gab sich Mühe. Aber ich war nur noch auf Durchsetzung meiner Bedürfnisse aus. Letzte Chance, sagte ich ihm. Ich sagte viel öfter, wenn mir etwas fehlte. Ich sprach es an. Wenn A. einmal wieder einen Wutanfall bekam, wurde ich kalt. Ich wollte nicht, dass man mich so behandelt. Ihm war es kaum bewusst, dass er meine Ehre damit verletzte. Ich verletzte umgekehrt seine, indem ich ihm nicht mehr seine Rolle des Organisators und des «Für-alles-Zuständig-seins» zugestand. Ich entschied selbst. Ich handelte selbst. Und wenn ich auf ihn angewiesen war, verlangte ich, dass er für mich da war. Nicht erst Stunden später.
Nun denn, durch dieses Verhalten wurde die Spannung zwischen uns fast unerträglich. Nun fühlte ich mich nicht nur unverstanden, sondern er auch. Ich hatte kein Verständnis mehr. Wollte ich bleiben, musste es jetzt irgendwie «fluppen». Ohne ihn. Das «ohne-ihn» vertrug er nicht. Er wurde unglücklich, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass mit ihm eben nicht mehr geht. Und ich würde gerne ausziehen, damit ich wieder Raum habe.
Er akzeptierte gelassen, dass unsere Beziehung vorbei war. Sagte er zumindest. Aber er konnte nicht damit leben, ohne mich zu leben. Zarte Versuche der Annäherung, weil wir beide ja trotz allem noch Gefühle füreinander hatten und haben, wurden durch Missverständnisse schnell wieder ad acta gelegt. Er war nach meinem Empfinden und meiner Wahrnehmung auch nicht treu gewesen, als ich bei Pascal gewesen war. Gut, ich hatte Schluss gemacht. Er hätte auch nicht treu sein müssen. Aber er hatte es mir beteuert. Er wolle keine andere. Mein Misstrauen und auch meine Eifersucht (von der ich ebenfalls nicht ganz frei war) machten den Gefühlscocktail noch giftiger.
Bis es eines Tages explodierte. Er konnte unglaublich wütend werden. Er sah dann aus wie ein Djinn. Nein. Geschlagen hat er mich nie. Aber hart angefasst. Mich angebrüllt. Mir Befehle erteilt. Es wurde uns beiden klar, dass es so nicht weiter gehen konnte.
Also schlussendlich doch die räumliche Trennung. Auch wenn ich dadurch mein geliebtes Zuhause und die Hunde zurücklassen musste. Und auch unsere schönen Zeiten. Aber eine gemeinsame Zukunft war uns nicht gegeben. Nicht unter diesen Voraussetzungen.
Ich buchte Anfang August einen Flug und ging erst einmal zurück nach Deutschland. Ich würde mich neu orientieren. Ich musste ja auch wieder für meine Versorgung in der Zukunft schauen.
Ich hinterliess ihm eine lange Abschieds-WhatsApp, in der ich ihm begründete, dass es nicht nur an ihm läge und an mir oder an unseren unterschiedlichen Kulturen. Ich wollte vielmehr nicht mehr in seiner Welt leben, die aus Konflikten mit anderen Marokkanern bestand, aus deren ständigen Verstrickungen, Versprechen, Verhandlungen, Schlägereien, Polizeipräsenz, Nightlife und einer Rolle der Frau als Freundin mit der entsprechenden Dominanz des Mannes, die mir einfach nicht entspricht. Ich verliess ihn mit Trauer in meinem Herzen, aber auch mit Zuversicht, nun wieder meinen eigenen Weg zu beschreiten. Unabhängig und frei.
Eine wunderschöne Botschaft, die ich einmal auf FB gefunden habe
Only you control when the healing begins….if you’re waiting for an apology, which you no doubt deserve, you aren’t going to heal. If you’re expecting the feelings to miraculously «go away» you can’t start healing. See it’s in your power to let it/them go. Realize that the forgiveness is for yourself. When someone speaks harsh words, or just does something that hurts you, no matter how small, practice seeing them for the soul, not the person they are. Realize they are hurt too, they’ve made many mistakes too. It doesn’t mean you stay around them, by all means if they’re abusive, get away. But it means, forgive them, for your own peace of mind. It means walk away from the hurt, move on from the pain someone caused you. It means stop wallowing in memories of the past that continue to break your heart. You see, by living there, in the past, it’s no longer another person that’s hurting you, you are breaking your own heart because you won’t stop touching that old wound. Only when you decide you’ve had enuff, when you make the choice to let go of who/what caused your pain can the healing begin….~
Amy
Coffee, Poetry and a Lil Bit of Me
Nur du hast es in der Hand, wann die Heilung einsetzt…. Wenn du auf eine Entschuldigung wartest, die du zweifellos verdient hast, wirst du nicht heilen können. Wenn du erwartest, dass die Gefühle auf wundersame Weise «verschwinden», kannst du nicht anfangen zu heilen. Sieh, es liegt in deiner Macht, sie loszulassen. Erkenne, dass die Vergebung dir selbst gilt. Wenn jemand harte Worte sagt oder einfach etwas tut, das dich verletzt, egal wie klein, übe dich darin, die Seele desjenigen zu sehen, nicht die Person, die er ist. Erkenne, dass auch sie verletzt sind, dass auch sie viele Fehler gemacht haben. Das bedeutet nicht, dass du in ihrer Nähe bleiben sollst. Wenn sie dich ausnutzen, missbrauchen oder beleidigen, solltest du sie auf jeden Fall verlassen. Aber es bedeutet, dass du ihnen vergibst, für deinen eigenen Seelenfrieden. Es bedeutet, dass du den Schmerz, den dir jemand zugefügt hat, hinter dir lassen sollst. Es bedeutet, dass du aufhörst, dich in Erinnerungen an die Vergangenheit zu suhlen, die dir weiterhin das Herz brechen. Wenn du in der Vergangenheit lebst, ist es nicht mehr die andere Person, die dich verletzt, sondern du brichst dir selbst das Herz, weil du nicht aufhörst, die alte Wunde zu berühren. Nur wenn du dich entscheidest, dass du genug hast, wenn du die Entscheidung triffst, loszulassen, wer oder was deinen Schmerz verursacht hat, kann die Heilung beginnen ….~
Amy
Kaffee, Poesie und ein bisschen von mir
Selbstanalyse im Moment – in meiner Familie
Ich habe das Gefühl von Traurigkeit in mir. Wo sitzt es? Spontan im Bauch. Beim näheren hineinfühlen auch im Herzen. Ist es wieder das Loch? Es ist eine Schnittmenge aus dem Fehlen von A.s Aufmerksamkeit und seiner Liebe und meinem Gefühl des «nicht richtig seins» in kleinen Momenten, in denen jemand anderes mir sagt, ’sei doch so und so’… Ein natürlicher Umgang in meinem jetzigen Umfeld. Aber ich bin empfindlich.
A.s Liebe und die Erinnerung daran ist die eine Seite. Empfundene Kritik die andere. Die Erinnerung an die gefühlte bedingungslose Liebe zu Anfang von unserer Beziehung nutze ich in dem Moment der Kritik als Gegengewicht. Doch dann realisiere ich, dass diese Liebe nicht mehr da ist. Ich spüre wieder das Loch.
Oder bin ich nur aufgrund des Lochs überhaupt so sensibel? Eine weggenomme Liebe lässt die Selbstliebe wie einen Schatten wirken. Diese muss aus dem Schatten wieder hervortreten. Ich brauche Zeit. Zeit, in der ich den Kontakt vermeide und die Erinnerungen verblassen können.
Aber war die ‹weggenomme› Liebe vielleicht nur Einbildung?
Wenn ich an A.s Stelle gewesen wäre, hätte ich mich vllt auch nicht anders verhalten. Sein Aussenleben ganz natürlich weiterleben, Begegnungen zwischen uns, wenn der andere beschäftigt oder versorgt ist, nur kurz. Kurze Anrufe, wie geht es dir. Er hat mir immer seine Aufmerksamkeit geschenkt.
Mir fehlte die Hingabe sich zu öffnen. Ein Paar zu werden.
Es hat mir nicht gereicht! Er hat mir trotzdem immer gefehlt. Die innigen Momente. Die Zeit nur für uns. Er selbst. Nicht als Geste oder Ausdruck, sondern mit der Hingabe sich zu öffnen. Durch dieses Defizit habe ich Erwartungen entwickelt. Es müsste ihm doch auch fehlen. Aber er war zufrieden so. Liebe auf Abstand.
Er reagierte auf meine Wünsche nach Zweisamkeit mit Angeboten aus seiner Palette. Damit hatte er ja seine Schuldigkeit getan. Nachts angeln, surfen, schwimmen. Alles Aktionen, die ich nicht mehr brauchte und in denen eine andere Zweisamkeit vorherrscht. Er brauchte Oberflächlichkeit. Ich brauchte Tiefe. In der Musik hatten wir uns gefunden. In der Sexualität ebenso. Im Reden nicht.
Ich habe mich mit meinen Bedürfnissen nicht angenommen gefühlt. Ich hatte das Gefühl er will sich vor mir verstecken. Sich nicht öffnen. Momente mit mir vermeiden. Ausser der körperlichen. Als Ablenkung erzählte er mir unglaublich viele Geschichten. Und weitere Versprechen. Er musste ja im Aussen für mich da sein. Bis ich wieder einmal in seinen Augen falsch gehandelt hatte (nämlich eigenständig und selbstbestimmt) und seine Ehre mit meinem Handeln einmal wieder verletzte. Es war kompliziert. Es folgten aggressive Wutausbrüche von ihm und Kälte von mir.
Die andere Seite dieser warmherzigen Kultur – Machtanspruch und Dominanz der Männer
In den Momenten der Grenzverletzungen und Wutausbrüche, in denen A. mir seine dunkle Seite gezeigt hat, hat er sich umgekehrt gegen meine Grenzverletzung ihm gegenüber verteidigt. In diesen Momenten war ich ihm wohl ein Spiegel seiner Ängste, dass er nicht Mann genug sei. Nicht in seiner definierten Rolle. Und letztendlich, dass er nicht ok sei. Daran wollte er nicht erinnert werden. Also musste er mir das Gefühl geben, ich sei nicht ok und ihm unterlegen. Er demonstrierte seine Macht. Und damit eigentlich seine Hilflosigkeit, die Situation mit mir anders zu meistern. Er hat wohl auch im Grunde seines Herzens gespürt, dass ich wieder gehen werde. Dass ich mein Versprechen nicht einhalten würde. Warum sich dann noch öffnen? Dann doch lieber kontrollieren und selbst versuchen zu entscheiden, wann oder wie der andere geht.
Ich darf aber bei all meiner Analyse nicht vergessen: Er kommt aus einer Kultur, in der die Frauen nicht nur notwendigerweise beschützt werden, sondern auch beherrscht. Viele werden mit Gewalt klein gehalten. Ihrer Entfaltung und Selbstbestimmung enthoben. Seine Eltern lebten noch dieses Modell. Ohne Bewusstmachung lebt es in den Kindern fort. Jetzt wurde A. mit mir konfrontiert. Die Sichtweise ‹Toleranz und Gleichberechtigung im Denken, Fühlen und Handeln› wurde ihm nie vorgelebt. Schutz ist notwendig, sobald es Kinder gibt. Schutz ist notwendig, bei kleinen Kindern und jungen Frauen vor der Männerwelt. Vor dem Aussen. Bei Erwachsenen ist dieser generell nicht mehr nötig. Die alten Patriarchen weiteten diesen «Schutz» aus, auf den Schutz der Frauen vor sich selbst. Niemals waren sie gleichgestellt. Nun, da fängt Ungerechtigkeit zwischen Menschen erst an. Egal ob männlich, weiblich oder anders. A. hat ein schweres Erbe. Vielleicht war die Konfrontation mit mir eine seiner Lernaufgaben.