Verantwortungslos gleich frei sein?

Freiheit gleich Glück?

Vogelperspektive

Mütter, egal ob menschlich, tierisch und sogar pflanzlich, opfern sich auf, damit der Fortbestand garantiert ist. Sie geben «Milch», beschützen und zehren aus. Sie würden klaglos sterben für ihre Schützlinge. Die körpereigene Natur unterstützt mit der Ausschüttung diverse Hormoncocktails. Manche behaupten, es sei nur das – ein biologischer Vorgang. Doch ich weigere mich, auszuschliessen, dass es noch einen tieferen Sinn gibt. Denn wer einmal Mutter war, weiss, wie sich diese tiefe, uneigennützige Liebe anfühlt.

Nun, alle Kinder, sofern sie denn überleben, werden einmal gross und sollen selbstständig sein. Sich selbst versorgen. Sich selbst fortpflanzen können. Es gibt Ausnahmen. So werden kleine junge Bäumchen im Schatten ihrer Mutter so lange durchgefüttert (sie bleiben allerdings klein), bis es genug Licht im Wald gibt und sie sich selbst ernähren können. Launen der Natur, eben solche Wesen, die sich nicht alleine versorgen können, werden oftmals auf Dauer durchgefüttert. Bis sie sterben. Die Natur regelt es. Die Glückshormone bei der Versorgung, die Liebe, sind die Tragpfeiler zur Motivation der Versorger. In der Nicht-menschlichen Umgebung wissen die Gebenden allerdings auch nicht, dass die beschützten Wesen keine Chance haben. Sie wägen nicht ab, ob es sinnvoll ist. Es ist ein Instinkt, der als Gegenleistung Sinnhaftigkeit des eigenen Daseins schafft. Eine Löwenmutter wird sich nicht überlegen, warum sie das schwächste Glied ihrer Familie versucht mitzuschleppen, bis es nicht mehr kann oder gefressen wird. Sie muss weiterziehen, um die anderen Kinder versorgen zu können. Trotzdem sorgt sie sich und läuft noch einige Male hin und her, um das schwache Kind zum Mitkommen zu animieren. Bis es nicht mehr geht, und sie nicht mehr länger warten kann. Dann erst geht sie weiter und lässt ihr Schwächstes zurück. Sie denkt nicht darüber nach, dass dieses nun leiden muss oder gefressen wird. Aber sie betrauert den Verlust.

Triebe, Instinkte, Glückshormone und Liebe

Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir haben Mitleid. Wir kümmern uns um den Nächsten. Wir helfen. Und manchmal opfern wir uns auf. Nicht nur für die Kinder. Sondern auch für andere uns liebgewonnene Wesen.

Selbst wenn wir stattdessen bewusst wegschauen, bleiben wir nicht unberührt. Warum aber schauen wir manchmal weg? Es ist ein Schutzmechanismus. In der Regel hervorgerufen durch den Blick in die Zukunft, der wohl nur uns Menschen zu eigen ist. Wir entscheiden bewusst, etwas nicht zu tun.

Unsere Sicht in die Zukunft soll ebenfalls das Überleben garantieren.

Dieser Blick wird gespeist aus dem Blick in unsere Vergangenheit. Aus unseren Erfahrungen. Auch Tiere lernen aus Erfahrung. Sie lernen durch Schmerzen, dass man Bestimmtes nicht wiederholen oder meiden sollte. Das ist Instinkt. Es garantiert das Überleben. Aber stets nur für den Moment.

Unsere Sicht in die Zukunft soll ebenfalls das Überleben garantieren. Instinktive Bevorratung für einen langen Winter gehört da auch dazu. Gut. Wie das Horten eines Eichhörnchens. Aber wie sieht es aus mit dazugehörigen Verlustängsten des Horts? Wir Menschen entwickeln diesbezüglich teils diffuse Ängste. So hat meine Uroma ihrer Schwiegertochter verboten, die Milch für die Kinder zu verwenden, falls ihr Sohn aus dem Fronturlaub zurückkommen würde. Die Milch wurde schlecht. Diese Verlustangst von Materiellem (Überlebens-Mitteln) ist oft noch gepaart mit Ängsten zum Schutz unserer Seele. Vorm Verlieren eines geliebten Menschen, vorm Verlassen werden oder allein gelassen werden. Und schon wird unser «Hort» wichtiger denn je. Können diese Ängste nicht aber auch hinderlich und trügerisch sein? Ja. Wir schützen unsere Seele ebenfalls aufgrund alter Erfahrungen. Doch jede seelische Verletzung ist anders. Der nächste Partner wird dich nicht genauso verletzen wie der erste. Er bringt ein anderes Päckchen mit. Andere Prägungen. Seelische Schmerzen können und sollten auch nicht denselben Lerneffekt haben, wie körperliche. Situationen, die heute mit Ablehnung oder Verlassenenwerden zu tun haben und die unser Unterbewusstsein mit einem Kindheitstrauma vergleicht, sind nicht gleich. Aber durch unsere Ängste vermeiden wir womöglich, eine ähnliche Erfahrung wieder zu machen, und errichten stattdessen Mauern, die uns einsperren. Oder wir fokussieren uns womöglich sogar auf einen ähnlichen Typ Mensch (oder Situationen). Dann reden wir von der «Selffullfilling prophecy». Hätten wir diese Ängste nicht, würden wir ganz andere(s) anziehen. Mit Überleben hat dieser «Schutz» nichts mehr zu tun, wenn wir erwachsen sind.

Kommen wir zurück zur Rolle der Mutter. Das selbstlose Geben ist naturbedingt. Instinktiv. Unterstützt durch die Belohnungen Liebe und das Hochgefühl der Verbindung.

Geben wir auch anderen, erwarten oder brauchen wir bewusst oder unbewusst ebenfalls diese Belohnung. Es fällt uns leicht, den geliebten Partner zu unterstützen. Auch andere erwählte Gefährten, die sich selbst nicht helfen können – also nicht eigenverantwortlich für ihr Auskommen sorgen können – in der Regel sind dies Haustiere –, erhalten Liebe und damit eine dauerhafte Versorgung. Solange ein Ausgleich herrscht.

Freiheit ist nicht «verantwortungslos» sein. Freiheit ist, sich für die Verantwortungen entscheiden zu können, die wir übernehmen wollen.

Selbstlose Liebe

Und wird uns selbstlos gegeben, fühlen wir ein starkes Band. Dankbarkeit. Eine vielleicht lebenslange Verpflichtung, wie z. B. unseren Eltern gegenüber. Tiere zeigen ihre Zuneigung, wenn du sie versorgst. Auch das ist Belohnung für den Gebenden.

Selbstloses Geben ist jedoch keine Dauereinrichtung. Es endet dann, wenn – wie bei der Löwenmutter – das eigene Überleben und das Überleben Anderer gefährdet werden.

Als Kind lernen wir, dass das uneigennützige Geben der Eltern seine Grenzen hat. Sehr oft speichern wir diese Erfahrung als Trauma ab.

Doch ist es natürlich in unserer Entwicklung wesentlich, dass wir selbstständig werden. Entweder wir werden es freiwillig, oder wir werden aus dem Nest gekickt. Warum aber machen wir es nicht wie die Bäume und warten, bis das Kind von alleine genügend Sonnenlicht bekommt? Nun, hier ein Erklärungsversuch:

Weil unsere Kinder nicht klein bleiben und die Bedürfnisse zur Versorgung Überhand nehmen. Die Versorgung eines erwachsenen Kindes könnte das Überleben der Eltern, also des Gebenden, gefährden. (Deshalb wohnen wohl in reichen Familien die Kinder noch oft zu Hause. Sie können es sich leisten)

Dies ist der Lauf der Natur.

Wir glauben, dass unser Kind nicht selbstständig werden kann ohne uns. In dieser Welt. Bei diesen ganzen Hindernissen und Anforderungen.

Wir glauben, dass ein Kind in dieser Welt kein gutes Leben haben wird und bekommen deshalb keine Kinder.

Wir bekommen keine Kinder, weil wir glauben, selbst nicht überleben zu können, wenn wir eine solche Verpflichtung eingehen.

Solange wir keine Kinder haben, spüren wir aber noch nicht die Verbindung, die Liebe und die körpereigenen Botenstoffe. Diese spüren wir aber, wenn wir frisch verliebt sind. Der natürliche Nestbereiter. Solange das vorherrscht, sind wir bereit zu geben. Bis der Hormoncocktail nachlässt. Dann zählt nur noch das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen, damit eine Beziehung Bestand hat.

Aber warum bekommen wir das Gefühl, dass etwas nicht stimmt und dass wir ausgenutzt werden, wenn wir nur oder überwiegend der Gebende sind? Geben ist doch seliger denn Nehmen. So haben wir es gelernt. Wenn wir freiwillig geben, wird es uns, so Gott will, auf anderem Wege wieder vergolten. Also wenn wir selbstlos geben, dürften wir im Gegenzug – als gut erzogene Mitglieder einer Gesellschaft – nichts von dem Empfänger erwarten, oder? Und uns nicht ausgenutzt fühlen.

Momentbezogen mag das stimmen. Allerdings nur, solange unser eigenes Überleben und das von anderen, für die wir verantwortlich sind, nicht gefährdet wird.

Dauerhaft – ohne Liebe und Hochgefühl im Gegenzug – ist dieses Gefühl berechtigt. Denn es schützt uns. Weigern wir uns zu geben, haben wir vielleicht länger von unserer eigenen Versorgung.

Mit dem Gefühl, sich vor Ausnutzung schützen zu müssen, leben wir nicht mehr im Moment, sondern in der Zukunft. Wir haben Zukunftsangst. Für unser eigenes Überleben.

Diese Zukunftsangst begründet auch, warum wir wegsehen.

Dem Passanten, der zusammengeschlagen wird, stehen die Gefühle des «Nicht-Helfers» gegenüber: Wenn ich helfe, bekomme ich ebenfalls Schläge oder sterbe sogar. Dann werden meine Kinder nicht mehr versorgt.

Dem ausgehungerten Hund am Strassenrand mit sechs Welpen steht der Tourist gegenüber: Ich kann nicht allen armen Kreaturen helfen. Wenn ich hier anfange, wo höre ich dann auf? Mein Geld, meine Zeit würden dabei draufgehen.

Dem bettelnden Kind in der U-Bahn steht die alte Erfahrung gegenüber: Mein Mitgefühl wird nur ausgenutzt. ‘Dahinter steckt doch eine organisierte Bande.’ Und dem Kind selbst ist nicht geholfen. Ich kann keine moralisch verwerfliche Gruppierung unterstützen. Ich kann auch diesem Kind nicht helfen. Wenn ich es tun würde und mich direkt um das Kind kümmern, müsste ich meine Zeit und mein Geld opfern.

Wenn keine emotionale Verbindung und keine Liebe zum Opfer besteht, kann auch Mitgefühl übergangen werden. Es ist der Blick in die Zukunft – zum eigenen Überleben, der uns bewusst wegsehen lässt. Wir schützen uns vor möglichen Konsequenzen.

Haben wir eine Verbindung, fällt es schwer aus den Versorgungs- und Hilfeverpflichtungen herauszukommen. Es fällt schwer, das erwachsene Kind aus dem Nest zu werfen. Kann das Kind noch nicht selbst «Laufen», umso schwerer, da nicht sicher ist, ob es das auch lernt. Wir fühlen uns verantwortlich. Wir wollen die Liebe nicht verlieren. Und auch nicht das Hochgefühl, das wir erhalten, wenn der Nehmende seine Liebe beweist. Wir verlieren womöglich die Verbindung zu unserem Kind. Wir haben «Verlustangst und Zukunftsangst».

Meine Mutter war mit ihren Galloways und Ziegen weitaus glücklicher als mit ihren Kindern. Die Liebe, die ihr zuteilwurde, war einfach und klar. ‘Du kümmerst dich um mich, dafür liebe ich dich und zeige es dir auch.’

Kinder sind da wesentlich komplizierter, je älter sie werden. Nicht immer zeigen sie ihre Liebe. Manchmal sind sie verachtend und besserwisserisch, respektlos, undankbar. Sie setzen das Geben voraus, ohne etwas zurückzugeben. Und dann genau fühlt sich der Gebende ausgenutzt. Dann kann er aber auch nicht einfach aufhören mit Geben.

Denn genau dann fühlt sich der Gebende in seinen Verpflichtungen gefangen. Jetzt sind Liebe, Verbindung und Hochgefühle jedoch keine Garanten fürs eigene Überleben. Der gute Job, das Sparkonto oder die Anlagen an der Börse schon eher.

Dafür braucht es Zeit und Geld. Etwas, was man in einem unausgeglichenen Verhältnis von Geben und Nehmen nicht mehr opfern möchte. Die eigene Zeit und das eigene Geld sichern mein Überleben in der Zukunft. Wenn ich beides nicht zur Genüge habe, dann fokussiere ich mich darauf es (wieder) zu bekommen. Werde ich jedoch durch Verpflichtungen daran gehindert, fühle ich mich unglücklich. Gefangen. In meiner Selbstverantwortung blockiert.

Solche Situation kennen viele von uns. Wir wägen ab, wann wir uns für wen verpflichten. Manche von uns scheuen jegliche Verpflichtung und Verantwortung, um erst gar nicht in eine Opferrolle zu geraten. Um nichts geben zu müssen, was nicht genügend Verbindung, Liebe und Hochgefühl zurückgibt.

Liebe versus Überlebensmodus

Aber wie geht es den Eltern, die zum 100ersten Mal ihrem Sohn aus der Patsche helfen? Wie geht es der Ehefrau, die den ganzen Tag putzt, kocht, wäscht und alles zusammenhält?

Meiner Mutter ging es in dieser Rolle nicht gut. Sie hatte das Gefühl, nicht genügend zurückzubekommen. Sie verfügte über wenig bis gar kein eigenes Geld und hatte somit auch noch Angst um ihr Überleben. Trotzdem blieb sie dabei. Und, sie hat überlebt. Auch wenn ihr ganzes Leben mit Ängsten und Unsicherheiten bestückt war und das sie die meiste Zeit unzufrieden und nörglerisch werden liess.

Mir ging und geht es in dieser Rolle auch nicht gut. Meine Zeit und/oder mein Geld werden verschwendet, damit andere frei sein können und sich nicht um sich selbst kümmern müssen. Und nicht selbständig und eigenverantwortlich sein müssen.

Bei den Tieren geht es mir wie meiner Mutter. Sie zeigen mir Zuneigung. Ich freue mich. Ich habe ein Hochgefühl. Und eine Bindung.

Bei meinem Mann funktioniert das nicht. Wenn es nur meine Zeit wäre und er das Geld nach Hause brächte (altes Modell), wäre es irgendwie ausgeglichen. Dann wären meine Zukunft und mein Überleben gesichert.

Wieviel Verantwortung ist gesund?
Ich nehme das Leben an. Ich lasse den Moment zu. 8 Hundebabys bereichern mein Leben. Was die Zukunft für sie bereit hält? Wer weiss. Ich begleite sie, so lange ich es kann und es gut für uns ist.
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